
Bahrio68- Ein weiteres Beispiel für Hamburger Politik an den BürgerInnen vorbei
Seit 2014 engagiert sich die Nachbarschaftsinitiative Bahrio68 für einen verträglichen
Kompromiss für den geplanten Wohnungsbau im Innenhof einer geschlossenen
Randbebauung in Bahrenfeld zwischen Stresemannstraße, Ruhrstraße, Leverkusenstraße
und Schützenstraße.
Der Bebauungsplan sieht für diesen Hof eine Bebauung mit drei Reihen fünfgeschossiger (4
Vollgeschosse + Staffelgeschoss) Wohnblöcke sowie eine Tiefgarage vor. Das
Gesamtbauwerk (s.u.) soll das jetzige Ensemble, bestehend aus vorwiegend einstöckigem
Gewerbe, Garagen und Baumbestand, ersetzen. Dem gegenüber standen von Beginn an
Vorschläge von Anwohnerinnen und Anwohnern, die größere Abstände zu den
Bestandsbauten und eine geringere Geschossigkeit vorsehen und den Baumbestand erhalten
wollen.
Neuer Besitzer des Grundstücks soll Köhler und von Bargen sein, der auch an der Ecke
Bessemer Weg /Leverkusenstr. baut, den Zuschlag zum Abriss für das gelbe Ensemble an der
Ecke Barner und Bahrenfelder Str. bekommen hat und einigen aus der Auseinandersetzung
um das Grundstück des Bahrenfelder Forsthauses bekannt ist, das vermutlich in Folge von
Brandstiftung abgebrannt ist und inzwischen einem Düsseldorfer Investor gehören soll.
Bahrio68 hat in den fast zehn Jahren Auseinandersetzung Kontakt zu den Parteien gehalten,
den Austausch mit Ämtern und involvierten Akteurinnen und Fachleuten gesucht, die
Öffentlichkeit informiert und ein Bürgerbegehren gestartet, das kalt evoziert wurde und im
Schlichtungsversuch keine Chance habe. Die Ablehnung war durch die Senatsbehörde für
Stadtentwicklung bereits vor der Anmeldung formuliert und durch eine Anweisung an die
Bezirksverwaltung ausgehebelt. Zur Auslegung, einem letzten wenigstens formal gegebenen
Verfahren zur Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern hat Bahrio68 ak8viert, so dass
erstaunliche und erfreuliche 51 Eingaben im Amt eingingen, die monatelang bearbeitet und
im großen Schwung abgelehnt wurden. Zum Teil haben 30 Menschen auf einen einzigen
unstimmigen Punkt hingewiesen. Von den insgesamt 436 unterschiedlichen Argumenten,
warum der B-Plan so nicht Bestand haben darf, wurde den Argumentationen in 271 Fällen
„nicht gefolgt“, 155 wurden „zur Kenntnis genommen“, was meint, die Behörde setzt sich
darüber hinweg, und in 10 (zehn!) Punkten wurde der Argumentation „gefolgt“, was in
keinster Weise verändernde Wirkung hatte und keinen Baum gerettet hat. „Gefolgt“
bedeutete z.B. Textkorrekturen wie den Umfang einer Hainbuche, das Baujahr eines Hauses
in der Randbebauung oder eine minimale Fassadenbegrünung an einer Schmalseite.
Aktueller Stand ist, dass in der Sitzung der Altonaer Bezirksversammlung am 26.01.2023
dem Bauvorhaben zuges8mmt wurde, ohne dass es zu einer Geste des Entgegenkommens
oder der Umsetzung mildernder Forderungen gekommen ist, die Kubatur zu reduzieren oder
Bäume zu erhalten. Stattdessen darf der neue Besitzer immer noch 100% seines
Baumbestandes vernichten, was 68 % des Grüns im Innenhof entspricht und kann 12
großkronige Bäume (Birke, Weide, Ahorn, Pappel) durch kleinere Jungbäume ersetzen, die
niemals diesen Umfang erreichen werden (Holzapfel, Vogelbeere) bzw. sich auch für
lächerliche 1000 E pro Baum von zwei Ersatzpflanzungen freikaufen.
Im Umgang mit den BewohnerInnen der Randbebauung an einer der schmutzigsten und
lautesten Straßen Hamburgs, die für Jahre die hohe Belastung durch Fällungen, Abriss der
Gebäude und Neubebauung, sowie den ganzen Verlust des Grüns, von Luft und Sonne,
Ausgleichraum und Ruhe an Wochenenden hat, wird ein weiteres Mal das Signal
ausgesendet, dass Bürgerbeteiligung überhaupt nicht interessiert.
Der Konfliktfall „Bahrenfeld 68“ betrifft konkret 400-500 Anwohnerinnen und Anwohner. Er
steht aber vor allem exemplarisch für einen politischen Stil, der sich aus „Vergesslichkeit“,
„Selbstentmachtung“ („wir würden ja, aber uns sind die Hände gebunden“) und Arroganz
zusammensetzt. Geradezu stoisch wurden Kompromissansätze abgewiesen.
‚Die Grünen‘ haben das Bauvorhaben seit Beginn maßgeblich unterstützt und keinen Hehl
daraus gemacht, dass Grünerhalt oder Abmilderung der Belastung sie nicht interessieren.
Vor allem die wiederholten Belehrungsversuche, z.B. wie eine Dachbegrünung einer
Entsiegelung gleichkomme und dass das Amt schon alles richtig mache, waren überaus
befremdlich. Die Realisierung des Bauvorhabens wurde sogar mit der Steigerung der
Lebensqualität und einer Verbesserung der Durchlüftungs-, Grün- und Klimasituation in dem
geschlossenen Innenhof in Verbindung gebracht, was ja absurd ist. Diese Einschätzung steht
auch im Widerspruch zu vorliegenden Gutachten, sowie im Widerspruch zu relevanten
städtebaulichen Programmen wie dem ‚Magistralenprogramm‘, in dem der besondere
Schutz der hinter den Hauptverkehrsachsen liegenden Gebiete hervorgehoben wird.
Geradezu grotesk erscheint in diesem Zusammenhang das unter dem Namen „Cool Altona“
neu aufgelegte Projekt des Bezirks. Der damit verfolgte Schutz vor Aufheizungseffekten in
der Stadt hat nach den Worten der Bezirksamtsleiterin „natürlich mit der Bauweise zu tun“,
„aber auch ganz viel mit Bäumen (…) und Fassaden“1. Wie weit die hier geplante partielle
Dachbegrünung bei Klimawandel ohne ausreichende Erhaltungstechnik irgendeinen
positiven Effekt haben soll, erschließt sich nicht. Und warum nicht wenigstens teilweise
unter Erhaltung von Bäumen geplant wurde, bleibt ebenfalls unklar. Aber das Fällen von
Großbäumen geht ja im Bezirk an mehreren Punkten anscheinend leicht von der Hand.
Erstaunlich waren auch die Gespräche zwischen ehemaligem ‚Investor‘ und sogar
Landesbehörden und Senat trotz einer relativ geringen Größenordnung. Wir haben ein
Spektakel erlebt, in dem Investoren machen können, was sie wollen, gegen alle
gesundheitlichen Bedürfnisse der Betroffenen, mit tatkräftiger Unterstützung der Politik. Es
ging um eine Aufwertung des Grundstücks um Millionen.
Dass Wohnungsbau nottut und dies besonders als preisgebundener Sozialer Wohnungsbau,
wurde von uns nie in Frage gestellt. Dass die Interessen von Investoren, nicht aber die der
betroffenen Bürgerinnen und Bürger von Politik und Verwaltung bestärkt und geschützt
werden, ist frappierend. Nicht private Gewinnmaximierung, sondern die Entwicklung einer
für alle Beteiligten erträglichen Planung sollte im Vordergrund politischen Handelns und
städtebaulicher Entscheidungen gesucht werden und die Bedürfnisse der Bewohnerinnen
und die Begrenzungen des Quartiers beachtet werden. Kompromisse sind hier nicht an den
Anwohnerinnen und Anwohnern gescheitert. Wir haben all die Jahre um eine Verträglichkeit
des Projektes gerungen, aber einen Machtkampf erlebt, in dem wir als Störende gespiegelt
werden. Verträglich wäre gewesen, die Bäume zu erhalten, und die Klötze um 2 Stockwerke
zu reduzieren und einen höheren Anteil an preisgebundenen Sozialwohnungen zu schaffen.
Das Problem vor allem um erschwinglichen Wohnraum wird durch die maßlos massive
Bebauung in diesem Hof nicht gelöst werden. Das Vertrauen in die Politik ist allerdings auf
diesem Weg zerstört worden.
Für weitere Informationen steht die Nachbarschaftsinitiative Bahrio68 zur Verfügung.
1 https://www.ndr.de/nachrichten/hamburg/Cool-Altona-Hamburger-Bezirk-startet-
Klimaschutz- Projekt,klimaschutz388.html (NDR, 02.01.2023