Behringstraße : Mieter*innen wollen bleiben

Anika Würz
Aktualisiert: 13.04.2023, 11:00 | Lesedauer: 8 Minuten
Hamburg. In einem Wohnhaus in der Behringstraße in Ottensen liegen die Nerven blank, seit Monaten herrscht Streit – zwischen Nachbarn und vor allem zwischen Mietern und dem städtischen Wohnungsunternehmen Saga.
Aische Okur (Name von der Redaktion geändert) will ihre liebgewonnene Wohnung nicht verlassen, doch die Saga will das Mehrfamilienhaus möglichst schnell abreißen. Für beide Anliegen gibt es berechtigte Gründe. Okur wirft der Saga sogar vor, sie mit perfiden Tricks entmieten zu wollen.
Saga will Haus in Ottensen abreißen – für Neubauvorhaben Seit mehr als vier Jahrzehnten wohnt Aische Okur in der Behringstraße. Die 47-Jährige ist hier aufgewachsen. Heute
vereint sich in ihrem 67-Quadratmeter-Reich ein ganzes Leben. Hier ist ihr Zuhause, ihr Homeoffice – und ihre Familie. Denn in der Wohnung schräg unter Okur leben ihre Eltern, die beide mittlerweile jenseits der 80 sind. „Ich bin durch und durch Ottensenerin“, stellt sie klar. Die Wohnung, „das ist für mich mein Kokon, mein Rückzugsort“, sagt Okur.
Doch die Saga will das intakte Gebäude mit den 14 Wohnungen abreißen. Es sei Teil eines größeren und seit Längerem geplanten Neubauvorhabens der Saga-Unternehmensgruppe. „In Summe umfasst dieses Projekt drei Grundstücke: das Leergrundstück Behringstraße 40, das mit einem Bunker bebaute Grundstück Behringstraße 38 und das Bestandsgebäude Behringstraße 36a“, teilt Saga-Sprecher Gunnar Gläser dem Abendblatt mit.

Saga kündigte Abriss 2019 an – Ottensener Familie leistet Widerstand „Auf diesen sollen nach aktuellem Planungsstand insgesamt 66 öffentlich geförderte Neubauwohnungen entstehen,
um somit bezahlbaren Wohnraum für Menschen mit kleinem und mittlerem Einkommen im stark nachgefragten Quartier Ottensen zu realisieren“, so der Sprecher. Nach dem Abbruch soll es an Ort und Stelle also 52 Wohnungen mehr als bislang geben. Ein Abriss des Gebäudes, in dem Okur und ihre Eltern wohnen, sei deshalb unbedingt erforderlich, weil es statisch mit dem Bunker verwoben ist. Wird der Bunker abgerissen, muss auch 36a schwinden. Die Saga will ein Neubauvorhaben realisieren. Doch einige Mieter leisten Widerstand. Was das Wohnungsunternehmen sagt.

Wohnhaus in Ottensen droht Abriss – Nachbarn protestieren

Sobald alle Mieter das Wohnhaus verlassen haben, soll es abgebrochen werden – doch die Familie Okur leistet Widerstand, seit die Saga das Vorhaben 2019 angekündigt hat. Schon jahrelang geht es in zunehmend unterkühltem Ton hin und her zwischen Okur und der Saga. Das Ergebnis ist bislang nicht im Geringsten eine Einigung, sondern vielmehr eine Handvoll gut beschäftigter Anwälte sowie dicke Aktenordner, die den Schriftverkehr zwischen den
Parteien dokumentieren.
Schikane? Mieter haben das Gefühl, Saga wolle sie herausekeln Okur hat das Gefühl, die Saga wolle alle verbleibenden Mieter, also auch sie und ihre Eltern, aus dem Haus herausekeln. Das Wohnungsunternehmen würde das Haus, seit dessen Abriss feststeht, verkommen lassen, meint die Mieterin.
Reparaturarbeiten an den Balkonen würden nicht mehr durchgeführt, selbst regelmäßige Überprüfungen etwa der Gastherme fänden nur noch auf dringliche Nachfrage statt. Auch dass im Januar für drei Wochen die Heizung ausfiel, vermutet die 47-Jährige als kalkuliert und Teil einer Schikane. Saga-Haus in Ottensen: Im August zogen Geflüchtete ein „Das war immer eine großartige Hausgemeinschaft“, erinnert sich Okur an die Zeiten, in denen der Abriss des
Gebäudes noch nicht zur Debatte stand. Die Nachbarn hätten sich stets gut miteinander verstanden, gemeinsam Garten- oder Grillfeste im grünen Hinterhof gefeiert. Doch nachdem die

Saga 2019 verkündet hatte, das Wohnhaus abreißen zu wollen, zogen fast alle der 14 Mietparteien sukzessive aus. Im August vergangenen Jahres sind daher neun leer stehende Wohneinheiten in dem Gebäude mit Geflüchteten aus der Ukraine belegt worden. Insgesamt handelt es sich laut Fördern und Wohnen um 45 Personen. „Diese Unterbringung ist befristet, bis die verbliebenen Bewohnerinnen und Bewohner ausgezogen sind und der Abbruch mit
anschließendem Neubau beginnen kann“, sagt Gläser von der Saga.
Streit und Ruhestörung: Polizei muss ständig anrücken Seit dem Einzug der Geflüchteten sei das Treppenhaus oft vermüllt, Speisereste würden herumliegen und ein „offenes Büfett für Ratten“ bieten, so Okur. Sie hat die Zustände fotografisch dokumentiert. Auch stehe die Bewohnerin seit
dem Einzug der Schutzsuchenden nachts regelmäßig wegen Lärms „senkrecht im Bett“, erzählt sie. Oft rufe sie deshalb mehrfach wöchentlich die Polizei. Polizeisprecher Sören Zimbal bestätigt, dass es seit Anfang August 2022 zu insgesamt 22 Einsätzen an der Adresse kam. Streitigkeiten oder Ruhestörung seien meist Auslöser gewesen.
Der Lärm gehe dabei lediglich von einer Familie aus, betont die Mieterin. „Und das betrifft wirklich nur die eine Familie – mit allen anderen Bewohnern gibt es inzwischen einen sehr netten, kommunikativen Austausch“, sagt sie. Dagegen, dass die Menschen geflüchtet sind, habe sie schließlich nichts einzuwenden: „Ich meine, ich bin ja selbst Ausländerin. Mir ist piepegal, wo jemand herkommt.“
Saga spricht von Übergriffen gegenüber Geflüchteten. Auch die Gegenseite erhebt Vorwürfe: „Der Saga sind Beschwerden über Übergriffe in dem Objekt bekannt gemacht
worden, allerdings vorwiegend auch vonseiten der Geflüchteten“, sagt Gläser. Susanne Schwendtke, Sprecherin von Fördern und Wohnen, bestätigt das: „Türen zu Wohneinheiten, in denen Geflüchtete leben, wurden beschmiert und beschädigt, Kinder wurden körperlich angegangen“, sagt sie. „Noch bevor die ersten Schutzsuchenden dort eingezogen
waren, haben wir an dem Ort eine Feindseligkeit erlebt, die wir sonst in Hamburg nicht kennen.“
Laut Okur sind all das Lügen, für die es keine Beweise gebe. Wie es bei einem ernsthaften Streit so häufig vorkommt, werfen sich beide Seiten viel vor. Unabhängig bestätigen lässt sich davon nur das Allerwenigste.
Ottensen: Mieterin wurde körperlich angegriffen
Okur wähne sich als David, der gegen Goliath kämpft, erzählt sie. In ihrem derzeitigen Wohnverhältnis fühle sie sich belastet und bedrängt. Auch entwickle sie Angst vor ihrem eigenen Zuhause. Erst kürzlich habe sie etwa einen dicken Panzerriegel einbauen lassen.

Anwohnerin: „Die Saga ist bereit über Leichen zu gehen“
Die 47-Jährige empfindet den Vorfall als eine Folge der Umstände, in denen sie derzeit lebt. „Die Saga ist bereit für ihr Projekt über Verletzte beziehungsweise Leichen zu gehen und riskiert die Gesundheit der langjährigen Mieter“, so Okur.
Einen Auszug aus der Behringstraße zieht sie dennoch – oder besser: nun erst recht – nicht in Erwägung: „Wir lassen uns nicht unterkriegen und prangern an, dass die Saga die Not der Menschen auf beiden Seiten für sich nutzen will.“

Saga: „Vergleichbaren Fall wie in der Behringstraße gibt es nicht“
Wie ihren ehemaligen Nachbarn wurden auch Aische Okur und ihren Eltern immer wieder Angebote für Ersatzwohnungen von der Saga unterbreitet, laut dem Wohnungsunternehmen mehr als 50 Stück. Doch Okur zufolge hätten sämtliche Ersatzwohnungen für sie eine deutliche Minderung ihrer derzeitigen Standards bedeutet – entweder was den Mietpreis, die Lage, die Größe oder den Zustand der Angebote anging. „Meine Mutter ist aus der letzten Wohnung weinend rausgelaufen“, sagt sie.
Saga-Sprecher Gunnar Gläser zufolge biete das Wohnungsunternehmen ihr zudem ein Rückkehrrecht in die späteren Neubauwohnungen an, „damit wir das seit vielen Jahren angestrebte Neubauvorhaben mit öffentlich geförderten und damit bezahlbaren Wohnungen umsetzen können.“ Doch auch das möchte die 47-Jährige nicht. Was andere Projekte angehe, „konnten bislang immer Lösungen im Sinne aller Beteiligten gefunden werden“, betont Gläser. „Einen vergleichbaren Fall, wie aktuell in der Behringstraße, gibt es bei der Saga nicht.“

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Denn Ende Januar erst kam es zu einem körperlichen Angriff auf Okur durch eine andere Bewohnerin des
Wohnhauses an der Behringstraße. Okur erlitt Prellungen und Hämatome an Schulter und Arm, wie aus einem
ärztlichen Schreiben hervorgeht. Sie ist voraussichtlich für Monate bewegungseingeschränkt. Es wird wegen des
Verdachts der Körperverletzung ermittelt, bestätigt Polizeisprecher Zimbal.
Anwohnerin: „Die Saga ist bereit über Leichen zu gehen“
Die 47-Jährige empfindet den Vorfall als eine Folge der Umstände, in denen sie derzeit lebt. „Die Saga ist bereit für ihr
Projekt über Verletzte beziehungsweise Leichen zu gehen und riskiert die Gesundheit der langjährigen Mieter“, so
Okur.
Einen Auszug aus der Behringstraße zieht sie dennoch – oder besser: nun erst recht – nicht in Erwägung: „Wir lassen
uns nicht unterkriegen und prangern an, dass die Saga die Not der Menschen auf beiden Seiten für sich nutzen will.“
Saga: „Vergleichbaren Fall wie in der Behringstraße gibt es nicht“
Wie ihren ehemaligen Nachbarn wurden auch Aische Okur und ihren Eltern immer wieder Angebote für
Ersatzwohnungen von der Saga unterbreitet, laut dem Wohnungsunternehmen mehr als 50 Stück. Doch Okur zufolge
hätten sämtliche Ersatzwohnungen für sie eine deutliche Minderung ihrer derzeitigen Standards bedeutet – entweder
was den Mietpreis, die Lage, die Größe oder den Zustand der Angebote anging. „Meine Mutter ist aus der letzten
Wohnung weinend rausgelaufen“, sagt sie.
Saga-Sprecher Gunnar Gläser zufolge biete das Wohnungsunternehmen ihr zudem ein Rückkehrrecht in die späteren
Neubauwohnungen an, „damit wir das seit vielen Jahren angestrebte Neubauvorhaben mit öffentlich geförderten und
damit bezahlbaren Wohnungen umsetzen können.“ Doch auch das möchte die 47-Jährige nicht.
Was andere Projekte angehe, „konnten bislang immer Lösungen im Sinne aller Beteiligten gefunden werden“, betont
Gläser. „Einen vergleichbaren Fall, wie aktuell in der Behringstraße, gibt es bei der Saga nicht.“
Aktualisiert: Do., 13.04.2023, 11.00 Uhr